8. Große Veränderungen. Die Heimkehr

Aber seit diesen Worten war ein Jahr vergangen. Immer noch hatte Rønnaug nichts von ihm gesehen. Trotzdem hielt sie sich an ihr Versprechen. Viele reiche vornehme junge Männer hatten um ihre Hand angehalten, doch Rønnaug erinnerte sich stets an die Worte „Du kannst mir vertrauen, wir sehen uns in einem Monat“. Ihrem Vater gefiel es nicht, daß Rønnaug alle ablehnte. „Du mußt dich für einen entscheiden, Rønnaug“, sagte er oft.
Aber sie hatte sich schon ja für einen entschieden. Müßte er nicht bald kommen?
*
Auf Grankveen waren im vergangenen Jahr große Veränderungen vor sich gegangen. Anders und Rolf waren weggezogen.
„So gewissenhafte Pächter für Grankveen bekomme ich nie wieder“, pflegte Ole Aae zu sagen, wenn von Rolf und Anders die Rede war.
Und das stimmte. Auf Grankveen wohnte jetzt ein anderer Mann. Er war auch strebsam und fleißig, aber ach, er war arm. Er hatte Mühe, die Skillinge zusammenzukratzen, um die Pacht aufzubringen. Ole Aae wurde darauf aufmerksam, weil Rønnaug es ihm erzählte. Sie wußte von der wirtschaftlichen Situation des Mannes, und Ole Aae gab ihm das Geld zurück, als er es hörte. Er erließ dem jungen Mann seine Schulden.
*
Eines Abends nach einem heißen Sommertag saß Rønnaug Aae auf der Gartenmauer. Sie hatte eine Näharbeit auf dem Schoß liegen, und ihre zarten Finger arbeiteten fieberhaft daran. Sie wurde müde.
Am besten mache ich Spaziergang, dachte sie. Gedacht, getan. Sie ging den Weg entlang, der zum Pfarrhaus führte. Zu dem Hügel, auf dem soviele Blumen wuchsen, begab sie sich, pflückte ein paar und machte einen Strauß daraus.
Rønnaug war hübsch an diesem Abend. Sie trug ihr gestreiftes Mieder, und die Haare hingen ihr offen über die Schultern. Sie war etwas blaß, aber eine „Dorfschönheit“ war sie auf jeden Fall. Sie summte ein Lied vor sich hin, und zwar das, das sie gesungen hatte, als sie Rolf hier zuletzt begegnet war. Es ging so:
„Immer noch gehe und wandere ich,
Ständig denke ich an dich.
Kommst du nie zu Rønnaug zurück?
Du fehlst ihr noch zu ihrem Glück.“
Sie sprang auf. Das Geräusch von Pferdehufen traf ihr Ohr. Sie schaute die Landstraße hinunter und sah – einen Wagen. Sie ging den Weg hinunter. Der Wagen blieb stehen, und ein hübscher junger Herr in schöner Tracht stieg aus. Er eilte Rønnaug entgegen. Ein Schrei – und Rønnaug lag Rolf im Gras zu Füßen. Er hob sie auf und trug sie in den Wagen. Dort kam sie wieder zu sich. Es folgte eine lange innige Umarmung – und der Pakt war besiegelt. Sie war wieder Rolfs „eigene liebe Rønnaug“.
„Warum bist du so lange weggeblieben?“ fragte sie vorwurfsvoll.
„Weil – weil – ich – ja, du wirst es erfahren.“
Sie waren bei der Pforte angekommen und stiegen aus.
Vater Aae stand wieder in der Tür, seine Frau Bodil jedoch nicht. Wo war sie? Bei ihren Vätern.
„Vater! Vater! Ich habe mich für einen entschieden“, rief Rønnaug entzückt. „Das ist Rolf Grankveen – oder Knud Sonnenfield.“
„Was?“ rief der verblüffte Vater.
Rolf ergriff das Wort: „Vorausgesetzt, daß Sie einwilligen, haben ich und Rønnaug uns gegenseitige Liebe geschworen. Darf ich um Ihre Erlaubnis bitten?“ „Erlaubnis? Liebt einander, solange ich lebe, wie heute abend. Kommt herein, ich gebe euch meinen Segen.“
Das waren die Worte des alten Ole Aae.
Als der Morgen anbrach – es war ein Sonntag – anbrach, ging der alte Ole Aae selbst zum Pfarrhof. Diesmal bestellte er ein Aufgebot für Knud Sonnenfield und seine Tochter Rønnaug. Knud Sonnenfield – er hatte seinen richtigen Namen wieder angenommen – hielt sich noch zwei Monate mit seiner glücklichen Frau auf Aabakken auf. Danach zog er mit seiner Frau und dem Segen seines Schwiegervaters wieder in seinen Geburtsort.
Schon einen Monat später kam ein Brief von Vater Aae, in dem stand, daß er so schnell wie möglich mit Rønnaug zu ihm kommen müsse. Sie kamen gerade noch rechtzeitig, um das Testament und das letzte Lebewohl von dem sterbenden Alten zu empfangen. Nachdem sie ihn begraben hatten, verließen sie Aabakken und zogen in die Stadt, wo sie unabhängig leben konnten, mit Knuds Geld und Rønnaugs Erbe. Hier begannen sie einen ausgedehnten Handel und lebten in Liebe und Reichtum, wohltätig und freigebig gegenüber Armen und Bedürftigen. Sie erinnerten sich an Knuds Ankunft, seinen Aufenthalt auf und seine Abreise von Aabakken und seine lange erwartete Rückkehr, um Rønnaug als seine Braut heimzuführen, und Rønnaug vergaß nie sein rätselhaftes Benehmen.

Ende

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