4. Die Quittung

Es war schon spät, als Rolf zu seinem Vater nach Hause kam. Die Sonne war schon beinahe untergegangen, und die Waldvögel sangen ihr Abendlied für den Schöpfer, der für sie sorgte.
„Wo warst du so lange?“
„Ich habe nur einen Spaziergang gemacht“, antwortete Rolf geistesabwesend.
„Es ist Zeit für die Pacht. Vielleicht bringst du Aae das Geld?“
„Ja, gib es mir, ich gehe schon.“
Rolf ging schnellen Schrittes den Hügel nach Aabakken hinauf. Er ging in die Küche, begegnete Rønnaug und sagte: „Danke für letztes Mal.“ Und: „Ich möchte mit deinem Vater reden. Ich bringe die Pacht.“
„Du bist ja sehr pünktlich, Rolf.“
„Ja, das haben Vater und ich versprochen, und wir sind keine Lügner.“
„Das dachte ich auch nicht.“
„Natürlich nicht. Verzeihung!“
„Schon gut“, sagte Rønnaug mit strahlenden Augen.
„Wo ist dein Vater?“
„Hier, geh nur hinein. Er ist allein.“
Rolf wagte sich kaum hinein und errötete, als Rønnaug ihm einen Stuhl hinschob.
„Ich bringe Ihnen das Geld.“
„Welches Geld?“
„Die Pacht für Grankveen.“
„Oh, du bist der erste, der in diesem Quartal bezahlt.“ Der Alte blätterte in einem großen Buch, fand „Grankveen“ mit den Rückständen von Jens Klæp, lächelte und sagte: „Es scheint, daß Grankveen jetzt einen anderen Pächter hat.“
„O ja, das kann sein!“
Der alte Aae schaute den bescheidenen gutaussehenden Mann an und fragte – nachdem er erst seine Silberrandbrille abgenommen und geputzt hatte: „Wo kommst du her?“ Rolf wunderte sich über die Frage, faßte sich jedoch und sagte: „Aus Bjellelid in Nørstad.“
„Aus der Gemeinde Nørstad?“
„Ja – Vater ist eigentlich etwas weiter südlich geboren, in der Nähe der Stadt.“
„Aha! Wie heißt du?“
„Rolf Andersen.“ Dabei schaute er zu Rønnaug hin, die bei seinen Worten errötet war.
Das bemerkte auch der Vater, als sein Blick auf seine Tochter fiel. „Ihr kennt euch wohl schon länger?“ fragte er.
„Aber nein“, sagte Rønnaug schnell. „Ich fand es nur seltsam, daß unsere Vor- und Nachnamen mit dem gleichen Buchstaben anfangen!“
Der Vater dachte nach und merkte, daß auch Rolf feuerrot geworden war. Verlegen saß der junge Mann da, zupfte an den Fransen seines Halstuchs und schaute dann und wann zu Rønnaug hinüber.
Plötzlich erhob Rolf sich und sagte: „In der Jugend fällt es einem leicht, Bekanntschaften zu schließen. Die meisten sind nur flüchtig, doch aus einigen wird Freundschaft.“ Bei diesen Worten glich er eher einem Pfarrer als einem Bauern, er hatte wieder die Haltung und Sprache eines vornehmen Herrn angenommen, doch plötzlich – als würde er aus einem Traum erwachen – wurde er wieder der ungebildete Bauernjunge.
Seine Worte hatten eine magische Wirkung. Rønnaug hatte sich wieder gefangen, und wieder stand sie da und fragte sich, was für ein Mensch Rolf eigentlich war, der sowohl als Städter als auch als Bauer auftrat. Seine Worte kamen im richtigen Augenblick, sie sollten zwei Zwecken dienen, erstens dazu, Rønnaug aus der Verlegenheit zu helfen, und zweitens dazu, sie und ihren Vater von seiner eigenen Person abzulenken. Das gelang Rolf auch, denn er verlangte beim Abschied eine Quittung für den Betrag, den er bezahlt hatte.
„Eine Quittung?“ wiederholte Ole Aae verwundert. „Du bist der erste, der eine Quittung für die Pacht fordert.“
„Das kann sein, aber es ist sicher gut, eine zu haben. Das hat der Grundherr wohl noch nicht bedacht.“
„Ja, wer denkt schon an so etwas?“
„Geben Sie mir bitte Tinte und Feder, Papier habe ich, ich reiße einfach eine Seite aus meinem Notizbuch, und Sie unterschreiben.“
Rønnaug brachte das Schreibzeug, und Rolf fing an zu schreiben. Er fing mit dem Wort „Quittung“ oben auf der Seite an und hatte noch nicht zu Ende geschrieben, da fragte Ole Aae: „Bist du wirklich ein Bauer, mein Freund?“
„Warum fragen Sie? Sieht man das nicht an meiner Kleidung?“
„Du schreibst so schön und schnell. Du bist sicher Sekretär in einem Büro!“ sagte Ole mit einem seltsamen Lächeln.
„Leider nicht“, seufzte Rolf. Wieder einer dieser Seufzer, die zu Herzen gingen.
Die Quittung war fertig, und er legte sie Ole Aae hin und bat um eine Unterschrift. Ole sah sich das Blatt Papier an. Eine so schöne Schrift hatte er noch nie gesehen, nicht einmal bei seinen Verwandten in der Stadt. Und dann die Eleganz, mit der er das Blatt hinlegte. Und was für zarte, gepflegte Finger. Die hatten sicher nicht die schwere Arbeit eines Bauern verrichtet.
Rolf ging. Und Rønnaug stand am Fenster und sah ihm nach, bis er verschwunden war.

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